Geschichten von Mensch zu Mensch von Sonja Marlin
Vergnügte Frau Fuchtel
„Frau Seidenhaar, k nn Sie mir mal’n Schwank aus Ihr’n Leben erzählen?“, macht meine frühere Nachbarin mich an.
„Frau Fuchtel“, geb ich zurück, „als ich noch geschwankt hab, das is lange her. Da erinner ich mich gar nich mehr an.“
„So“, meint sie, „bei mir f ngt das grade wieder an, nur nich so schön wie früher, geht jetz meistens mit Verletzungen einher, wenn ich das Gleichgewicht verlier.“
„Passen Sie bloß auf“, sag ich, „wegen diese Osteopopo … Sie wissen schon. Trinken Sie Milch und essen Sie Käse und Fisch. Ja, Fisch, wegen diese Omega 3 ... Sie wissen schon. Ham Sie auch diese Daumensattelgelenkarthrose?“
„Was ham Sie gesagt?“
„Daumensattelgelenkarthrose.“
„Was denn das für’n Wort?“
„Das is kein Wort, das is ‘ne Krankheit.“
„Sie woll’n mich auf’n Arm nehm. Das ham Sie erfunden und auswendig gelernt. Merkt man doch. Sowas gibt das nich.“
„Doch, gibt das. Das gibt ja auch diese Augengeneration ... Sie wissen schon.“
„Ja, die is schlimm, da kenn ich eine …“
„Da kenn ich noch mehr.“
„Aber Ihre Sattelhose oder wie das heißt, könn Sie mir die mal zeigen?“
Ich zeig ihr mein Daumen: „Sieht man nich, tut nur asig weh. Dagegen ist die Osteopopo … die tut ja ers weh, wenn man sich was gebrochen hat. Aber umso heimtückischer wie alles, was man nich auf’n ersten Blick sieht. Dummheit tut auch nich weh. Jedenfalls nich den, der sie hat.“
„Dafür tut das die annern umso mehr weh. Ich muss jetz gehn, Frau Fuchtel, mir tut grade alles weh.“
„Das liegt aber nich an mir, alte Leute tut immer alles weh.“
„Ja, kommt wohl, weil alte Leute besonners empfindlich auf die Dummheit von annere Leute reagieren.“ Sie guckt sich um. Ich guck mich um. Keine annern Leute da.
„Eigentlich dürften wir gar keine Schmerzen haben.“
„Das gibt aber auch diese Autokrankheiten, die sich gegen ein selbst richten.“
„Sie mein Autoimmun?“
„Sagen Sie bloß, Sie wolln da in die Schaufenster rein.“
„Genau, machen doch alle über 80-jährigen, da is das anscheinend erlaubt.“
„Frau Fuchtel, jetz halt ich die Schmerzen aber wirklich nich mehr aus. Haha“, lacht sie. „Das war natürlich ‘n Scherz.“ Dreht sich um und watschelt mit ihrn Osteopopo Richtung Apotheke. Würde zu gern wissen, was sie heimlich einnimmt, so vergnügt wie sie heute is.