Grün ja! Aber sicher muss es sein!

Im Gespräch mit einem Experten: Die Geheimnisse der Baumgutachten

Volker Kaiser Baumplflege

Baumpflege kommt in unseren Gärten oft viel zu kurz. Viele denken: So ein Baum, der wächst doch ganz von alleine. Der Baumgutachter Volker Kaiser aus Hamburg erklärt im Gespräch mit der HARABAU, warum das ein Trugschluss sein kann und welche Folgen aus mangelnder Baumpflege entstehen können.

Der Baum erzählt uns seine lange Lebensgeschichte, wenn wir es zulassen und sensibel empfinden. Der Baum erzählt uns aber auch seine wahre Geschichte in Bezug auf seine Statik, seiner überhöhten Zug- und Druckspannungen. Er sendet uns in der Regel Warnsignale, bevor er bricht oder versagt. Dies zu erkennen ist das Gefühl und das Wissen um die Statik des Baumes, darauf zu reagieren, die Kunst der möglichen Erhaltung des Baumes – und das Glück, ein wertvolles Leben zu erhalten und manchmal zu retten. Diese einzigartigen Gefühle für Bäume zu entfalten, den Baum in seiner Gesamtheit zu verstehen, das möchte Herr Kaiser erreichen. „Mein Ziel ist es, in meinen Gutachten den Kompromiss zwischen notwendiger Verkehrssicherungspflicht und Naturerhaltung aus der Grundsubstanz der Beobachtung der Bäume, der Statik der Bäume, der fachlichen Kompetenz und der wissenschaftlichen Erkenntnisse nahezu perfekt zu gestalten“.

Wir treffen Herrn Kaiser am HARABAU Parkplatz der Loher Straße. Hier steht eine alte Eiche, das Alter kann man nur schätzen und Herr Kaiser meint, der Baum wurde in der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges, irgendwann zwischen 1870-1875 gepflanzt. Dieser Baum ist etwas ganz Besonderes. Um sich ein besseres Bild vom Zustand des Baumes zu machen, hat Herr Kaiser den Boden um den Baum herum abgetragen. Wenn die Wurzeln nachträglich mit Erde überdeckt werden, ist es für den Baum schwierig, da die Sauerstoffverhältnisse und die Feuchtigkeit im Boden sich verändern und der Baum ersticken kann. Dem Baum müsste man mehr Raum geben, durch z.B. eine Blumenwiese um den Stamm herum, die nicht betreten werden sollte. Das ist gut für den Baum und gut für die Insekten. Eine geschlossene Rasenfläche mit viel Moos, legt sich wie eine Decke auf die Erde und nimmt so den Sauerstoff. Der Stamm sollte immer frei sein um zu atmen.

Vor ca. 30-40 Jahren war man in dem guten Glauben, es reicht, so Herr Kaiser, das man Wunden aus Bäumen einfach ausschneidet und mit einem Wund-Verschlussmittel wieder verschließt. Beim professionellen Klopfen an den Baum können wir hören, das dieser hinter der Wunde hohl ist.

Große Äste, die zwischenzeitlich durch einen Sturm abgerissen wurden, bieten nun Nistplätze für Vögel. Aber auch Hornissen bauen dort ihr Nest, richten sich für eine Saison ein und ziehen dann weiter. Tolle Lebensschutzräume für die Natur!

Ist es nicht im Sinne der Nachhaltigkeit, einen Baum, für den eine Fällgenehmigung ausgestellt wurde, diesen nur bis auf 3 Meter zu fällen, damit der Specht diesen Stumpf dann zum Nisten nutzen kann? Ja, das ist im Sinne des Naturschutzes absolut zu befürworten. Unterschiedliche Habitatstrukturen sind für das Fortbestehen unserer heimischen Vögel- und Insektenpopulationen immens wichtig. Man kann das allerdings nicht mit jedem Baum machen. Kürzt man z.B. einen Ahorn auf 3 Meter, steht da nur ein gerader Stamm, der keinen Lebensraum bietet.

Stirbt ein Baum auch irgendwann? Ja! Bäume haben aber das Vermögen, im Gegensatz zu uns, immer wieder neu auszutreiben. Dieser Zyklus ist unendlich, der Baum wächst immer weiter, aber gleichzeitig fault er von innen immer weiter aus, und irgendwann kippt das zugunsten der Fäule oder des Pilzes.

Wie sind Sie auf den Beruf aufmerksam geworden? Ich bin im Wald aufgewachsen und es war schnell klar, dass ich irgendwas mit Bäumen machen wollte. Der Frühling war für mich immer eine besondere Jahreszeit! Im Frühling habe ich jeden Tag geguckt, wie weit die Knospen auf sind. Das kommt mir jetzt zugute, denn ich habe es zu meinem Beruf gemacht, allerdings achte ich jetzt mehr darauf, was haben die Bäume für eine Vitalität, welcher treibt wann aus.

Wie wird man Baumsachverständiger? Ich habe Forstwissenschaften und Holzwirtschaft studiert und mich dann mit viel Engagement auf die Beurteilung von Einzelbäumen spezialisiert.

Muss man eine Prüfung ablegen, z.B. bei der IHK? Ich habe für den Bereich Baumkontrolle eine Zertifizierung der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. zum Baumkontrolleur (wie auch alle meine Mitarbeiter). Ansonsten muss man sich immer weiterbilden, Seminare besuchen etc.

Gibt es bei den Baumsachverständigen „Nachwuchsprobleme“ (personelle Engpässe)? Wer sich für den Berufszweig interessiert kann sich gerne melden. Tendenziell gib es genug Bäume und die Nachfrage wird durch Stürme und Trockenheit eher steigen als sinken. Es gibt sehr viele junge Menschen, die sich dafür interessieren. Ich denke personelle Engpässe wird es in unserer Branche nicht geben.

Gibt es Anzeichen, die auch jeder Mieter/Laie erkennen kann, wann ein Baum „krank“ ist? Ja, die gibt es. Wenn zum Beispiel im Sommer frühzeitig das Laub fällt oder der Baum nicht mehr austreibt. Auf der anderen Seite ist es aber auch im Bereich des normalen, wenn auch Insekten (z.B. die Rosskastanienminiermotte) im und am Baum leben. „Krank“ ist ein Begriff, der eher schwierig zu verwenden ist.

Wie schätzen Sie den Baumbestand der HARABAU ein? Der Baumbestand der HARABAU ist sehr groß und sehr vielfältig. Unter den aktuellen Klimaentwicklungen steht er vor großen Herausforderungen. Unsere Arbeit wird kritisch beobachtet und es werden z.B. Fragen gestellt, warum wir junge Bäume kontrollieren, das kostet doch nur Geld? Wir versuchen zu erklären, dass der junge Baum erst einmal in den Zustand des groß werdens kommen muss. Die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren verändert, die Trockenheit im Sommer und die Stürme nehmen zu. Das setzt jungen und alten Bäumen zu, die dazwischen kommen ganz gut klar.

Bäume können Hunderte von Jahren alt werden und älter – auch ohne uns. Warum brauchen sie denn dann einen Baumpfleger? Ist es vielleicht so, wie beim Friseur, nur das Äste geschnitten bekommen, damit diese zum Beispiel nicht zu schwer werden? Baumpflege ist eine Grundpflege, um die Vitalität des Baumes zu erhalten – von der Krone bis zur Wurzel. Gerade junge Bäume brauchen oft ein wenig Unterstützung. Das kann entscheidend sein für ihre Widerstandskraft, bei Obstbäumen natürlich auch für den Ertrag. Werden Obstbäume nämlich nicht fachgerecht geschnitten, kann der Baum seine Energie nicht in die Frucht stecken. Und hinzu kommt natürlich die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit. Totholz, das in der Baumkrone hängt, kann gefährlich werden, zum Beispiel auf Autos oder gar Menschen fallen und muss daher unbedingt entfernt werden.

Totholz ist ja, im Sommer zumindest, immerhin relativ einfach erkennbar. Gibt es aber auch Schäden, die nur ein Profi entdecken kann? Gerade, wenn es um Krankheiten geht, die einen Baum befallen können, braucht es Erfahrung. Wir gehen um den Baum herum, sehen uns Krone und Stamm genau an und achten auf Unregelmäßigkeiten oder Anzeichen einer Erkrankung. Es gibt zahlreiche Krankheiten, die einen Baum befallen können, wie bakterielle Infektionen oder Pilzerkrankungen. Zum Beispiel gibt es Pilze, die sind völlig harmlos – im Gegenteil, sie gehen sogar eine Art Lebensgemeinschaft mit dem Baum ein, so dass beide Seiten profitieren. Aber es gibt auch andere, die die Wurzeln so zerstören, dass der Baum gefällt werden muss, weil er keine Standsicherheit mehr hat. Das sieht man ihm auf den ersten Blick oft gar nicht an. Er sieht, zumindest von Weitem betrachtet, meist noch sehr gut aus. Ein weiteres Problem ist oft Nährstoffmangel. Allein Wassermangel, zu dem es in besonders heißen Sommern schnell kommt, kann einem Baum ziemlich zusetzen.

Was würden Sie sich wünschen für so alte Bäume, wie z.B. dieser Eiche? Wenn man schon jetzt dafür Sorge trägt, das, wenn dieser alte Baum uns verlässt, wir in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass Nachwuchs entsteht. Das machen die Bäume ja selber. Die Eicheln fallen runter und keimen. Dafür müsste man eine Zone schaffen, in der nicht der Rasenmäher seine Arbeit verrichtet. In der Regel kennen wir nur – Bäume fällen, das ist schlimm – Bäume pflanzen, das ist gut, aber dazwischen gibt es nicht viel. Gerade Bäume, die sich natürlicherweise aussähen haben das genetische Ausgangsmaterial des alten Baumes und das ist gut. Ein kleines Schild oder eine Tafel vor dem Baum wäre schön, damit dieser sich vorstellen kann. Die HARABAU ist in einigen Quartieren zum Glück schon sehr bemüht und pflanzt Blumenwiesen, auf denen von März bis August/September Blühangebot vorhanden ist. Das kombiniert mit den Bäumen ist großartig, denn Insekten brauchen den Rückzugsraum um Eier oder ihre Larven abzulegen. Alte Eichen sind sehr interessant, leiten sie das Wasser nur um den aktuellen, äußersten Jahresring weiter, die zwei Jahresringe dahinter dienen als Speicher und in der Mitte passiert nichts mehr, da gibt es nur noch ein Stützgewebe. Hätten Sie’s gewusst?

 

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Herrn Kaiser für dieses interessante Gespräch und versprechen, die Bäume mit anderen Augen zu sehen.